Debattenkultur in Gefahr?

21.10.2025
Persönliche Meinung

Debattenkultur in Gefahr? Ein Plädoyer für mehr Streit – in der Sache, nicht im Gegeneinander
Blogbeitrag von Jan Siewert, stellv. LV. der JU SH

Brandanschlag auf ein Wahlkampfauto der SPD in Büchen , Böllerwurf auf SPD-Wahlkampfstand in Bargteheide , Vandalismus an der Parteizentrale der Grünen in Schleswig , Pflastersteine auf Parteibüro der Grünen in Neumünster geworfen , Wände der FDP-Parteibüros in Rendsburg beschmiert , Vandalismus an der CDU Kreisgeschäftsstelle in Neumünster , eingeschmissene Scheibe und Schmierereien an der CDU-Kreisgeschäftsstelle in Heide  - das ist nur eine kleine Auswahl von Attacken und Angriffen auf Parteien bei uns in Schleswig-Holstein in den vergangenen Jahren. Über beschädigte Wahlplakate, Beleidigungen oder Bepöbelungen liest man hingegen seltener etwas und doch erleben Wahlkämpferinnen und Wahlkämpfer sowie ehren- und hauptamtliche Politikerinnen und Politiker dies regelmäßig.
Schon diese kleine Auswahl zeigt, dass sich der Ton in unserer politischen Debattenkultur verändert hat. Er ist rauer – und gewalttätiger – geworden. Das belegen auch die Zahlen im aktuellen Verfassungsschutzbericht.
Dabei ist der Streit in einer lebendigen Demokratie gar nicht das Problem – vielmehr ist er sogar Voraussetzung für das Funktionieren unserer Demokratie. Der entscheidende Unterschied liegt im Wie. Ein sachlicher Streit – das Ringen um die besten Ideen – belebt unsere Demokratie und bringt sie voran. Ein Streit, der mit persönlichen Angriffen, Beleidigungen, Sachbeschädigungen oder gar Gewalt geführt wird, schwächt und zerstört sie.
Die Zahlen sprechen eine eindeutige Sprache – die Sorge um unsere Debattenkultur ist berechtigt – und aktueller denn je.
Dabei dürfte sich die Mehrheit einig sein: Meinungsfreiheit ist ein hohes Gut. Sie erlaubt es jedem, die eigene Meinung zu äußern – auch, wenn sie unbequem ist.
Doch Meinungsfreiheit bedeutet ebenso, die Meinung anderer zu respektieren. Denn dieses Recht gilt für alle. Wenn unterschiedliche Ansichten aufeinandertreffen, kann eine offene, sachliche Debatte dazu führen, dass neue Ideen entstehen – Ideen, die einer breiten Mehrheit zugutekommen und unser Land weiterbringen.
Diesen Kern unserer Demokratie müssen wir wieder stärker in den Blick nehmen. Das Aushalten anderer Meinungen und der respektvolle Umgang mit dem Gegenüber sind keine Schwäche, sondern eine Stärke. Wenn uns das wieder gelingt, können wir gesellschaftliche Gräben schließen.
Denn sinnloses Bashing gegen den politischen Mitbewerber oder die gegenseitige Beschuldigung ein Extremist zu sein, helfen niemandem – sie stärken nur die wirklichen Extremisten. Gerade die Rechts- und Linksextremisten, die unsere Demokratie verächtlich machen und zersetzen wollen, profitieren am meisten davon, wenn die Parteien der demokratischen Mitte sich gegenseitig verunglimpfen und den Streit in der Sache aus den Augen verlieren. Dabei müssen doch gerade die Kräfte der demokratischen Mitte hart, aber fair in der Sache diskutieren, damit am Ende gemeinsam die besten Ideen für unser Land gefunden werden.
Die Verrohung und das unsachliche Führen von Debatten können letztlich auch in Taten umschlagen. Die Statistik der letzten Jahre unterstreicht das bereits. Die Zahl der Angriffe auf Politikerinnen und Politiker hat in den letzten Jahren zugenommen. Ehrenamtliche wie hauptamtliche Mandatsträgerinnen und Mandatsträger werden beschimpft, beleidigt, bedroht oder körperlich angegriffen – teilweise nicht einmal mehr für das, was sie sagen, sondern weil sie sich überhaupt engagieren.
Auch der Vandalismus gegenüber Wahlplakaten, Parteibüros und Veranstaltungsorten nimmt zu. Oft geht es dabei nicht einmal mehr um politische Ablehnung, sondern um puren Zerstörungswahn – gegen Dinge, aber auch gegen unsere Demokratie.
Ein besonders erschreckendes Beispiel: Das Beschmieren des Schleswig-Holsteinischen Landtags mit israelfeindlichen Parolen am Jahrestag des Terrorangriffs der Hamas auf Israel.  Das zeigt einmal mehr, dass wir dringend zu einer Debatte in der Sache zurückkehren müssen. Über alle Themen, die uns dieser Tage bewegen, kann man sachlich und respektvoll diskutieren. Bei Bedarf kann man selbstverständlich auch demonstrieren. Die sachliche und faire politische Auseinandersetzung hat allerdings Grenzen. Diese Grenzen sind überschritten, wenn das Gegenüber angegriffen, verletzt oder beleidigt wird, wenn die Kundgabe von Meinung oder der Protest in Vandalismus umschlagen oder wenn zentrale Prinzipien unserer Demokratie und unseres Zusammenlebens in Frage gestellt werden. Das Beschmieren des Landtags ist ein Angriff auf das Herz unserer Demokratie. Dort, wo eigentlich mit Worten – hart, aber fair – gestritten werden soll, zeigt Vandalismus die Verachtung unserer demokratischen Grundwerte. Die israelfeindlichen Schmierereien verdeutlichen zudem: Diese Tat war kein Ausdruck von Meinung, sondern von Verachtung – für unsere Demokratie und die deutsche Staatsräson, die die Sicherheit und das Existenzrecht Israels als zentrale Bestandteile beinhaltet.

Wer also Scheiben in Parteizentralen einwirft oder Parlamente beschmiert, der attackiert nicht nur diese Gebäude, sondern auch unsere Demokratie.
Natürlich lebt Politik und Diskussion auch hin und wieder von Zuspitzung. Auch das ist ein rhetorisches Stilmittel. Die sozialen Medien wirken dabei allerdings oft wie ein Brandbeschleuniger. Algorithmen belohnen Zuspitzung, Empörung und Vereinfachung, während differenzierte und sachlich vermittelte Standpunkte in der Lautstärke untergehen. In einem solchen Klima, in dem das Stilmittel der Zuspitzung zu einem Dauerzustand wird, gedeihen Polarisierung und Radikalisierung, während der demokratische Mittelweg zunehmend unter Druck gerät.
Demokratie lebt vom Kompromiss. Dieser entsteht nur aus Debatten und nicht aus Shitstorms. Wer ernsthaft an Lösungen interessiert ist, muss bereit sein, zuzuhören, zu widersprechen, sich irritieren zu lassen – und trotzdem im Gespräch zu bleiben.
Wir brauchen nicht weniger Streit, sondern mehr Streit – mehr Streit in der Sache! Dafür muss es auch mal laut und auch ungemütlich werden. Doch die Regeln, der Anstand und der Respekt dürfen dabei nicht verloren gehen.
Die Debattenkultur erhält sich nicht von allein. Sie lebt davon, dass wir alle mitmachen – nicht indem wir alle derselben Meinung sind, sondern indem wir gemeinsam aushalten, dass wir es nicht sind. Wer Demokratie will, muss die offene Auseinandersetzung wollen – nicht das Schweigen der anderen.
Gerade in diesen Zeiten brauchen wir die politische Debatte – hart in der Sache, fair im Umgang. Lasst uns streiten – nicht gegeneinander, sondern miteinander für bessere Ideen.