
Der ehemalige US-Präsident Bill Clinton warnte bereits 1998 vor einer digitalen Kluft in der Gesellschaft. Damals teilte sich die Gesellschaft primär noch in Onliner und Offliner, also in Menschen mit Internetzugang und solchen ohne Internetzugang. Auch wenn wir in Deutschland nicht mehr zwischen Onliner und Offliner unterscheiden, so sind wir noch lange nicht am Ende der Transformation von einer Informations- zu einer Wissensgesellschaft. Individuelles und kollektives Wissen werden vermehrt zur Grundlage des sozialen und ökonomischen Zusammenlebens. Wikipedia verwaltet heute kostenlos mehr Wissen als der Brockhaus jemals hätte auf Papier drucken können. Ein kompletter Serverausfall bei Google würde wahrscheinlich das Wirtschaftswachstum weltweit beeinträchtigen. Menschen, die sich an eine wandelnde Gesellschaft anpassen konnten, hatten schon immer Vorteile. Was aber, wenn Anpassung nicht mehr reicht? Wir alle besitzen ein Smartphone mit Whatsapp und Webbrowsern – aber nutzen wir dessen Potenzial auch aus? Auf der letzten Bildungsveranstaltung der JU SH, der SU SH und des RCDS SH kannte von etwa 20 anwesenden Personen niemand den Dienst Google Drive. Und das, obwohl gerade Schüler und Studenten damit Gruppenpräsentation vorbereiten und parallel bearbeiten könnten, ohne sich treffen zu müssen (Stichwort Kollaboration). Wir denken in den meisten Situationen unseres Lebens noch nicht daran, ein Tool zu nutzen, um produktiver zu arbeiten. Die Generation 40+ bleibt bisher noch von dieser Entwicklung weitestgehend verschont, aber die nächste Generation wird sich aufspalten in Menschen, die genügend Kompetenzen oder Intelligenz im Umgang mit Computern und Tooling haben, und Menschen, die jeglichen Anschluss verlieren, weil das nötige Know-how fehlt und nicht mehr aufgeholt werden kann.
Die Entwicklung und Nutzung von Werkzeugen zeichnet die Menschheit seit eh und je aus. Den Computer nur als Werkzeug zu betrachten, wäre an dieser Stelle jedoch zu kurz gegriffen. Viel mehr ist der Computer und insbesondere das Internet ein Medium, das unsere Gesellschaft genau so verändert wie vorher der Buchdruck. Als Distributionsmedium verbreitet das Internet Daten und Informationen innerhalb von Millisekunden über den ganzen Globus. Um zu kommunizieren, müssen wir uns nicht mehr mit anderen Menschen am selben Ort befinden. Teilhabe an gesellschaftlichen Ereignissen ist also jederzeit von jedem Ort der Welt möglich. Allein diese zwei Aspekte verändern unser Leben und besonders unsere Arbeitswelt so schnell, dass viele Menschen sich unter Druck gesetzt fühlen. Vor allem weil der Zugang zu Informationen immer leichter und die Verbreitung immer schneller wird, ist es wichtig, neue Kompetenzen zu entwickeln. Die mangelnden Fähigkeiten, wichtige von unwichtigen oder korrekte von falschen Informationen zu unterscheiden, wirken sich zunehmend negativ aus. Selbstverständlich können Schulen und Universität im Lehrprozess nicht mit der aktuellen Entwicklung mithalten. Viele Neuerungen müssen sich erst als nützlich erweisen, bevor sie in den Lehrbetrieb aufgenommen werden. Selbst dann müssen noch Lehrpläne verändert und Lehrkräfte so weit ausgebildet werden, dass das neue Wissen angemessen gelehrt werden kann. Dennoch dürfen Schulen und Universitäten neue Entwicklung nicht völlig ignorieren. Hier ist die Politik gefragt, Entwicklungen in der Gesellschaft anzustoßen und Forderungen an die Lehrinhalte zu stellen. Wenn wir ganz ehrlich sind, dann ist der Computer keine neue Erfindung und das Internet kein Neuland. Dennoch gibt es in Schleswig-Holstein nur eine Handvoll Schulen mit ausgebildeten Informatiklehrkräften und entsprechendem Unterricht.
Industrie 4.0 und Arbeit 4.0 sind in der Politik die großen Themen (Beschluss der JU SH), aber was bedeutet das für die Gesellschaft? Industrie 4.0 bezeichnet den Wandel unserer Industrie hin zu einer Verzahnung der industriellen Produktion mit der Informations- und Kommunikationstechnik (Internet der Dinge). Sie ist gekennzeichnet durch eine starke Individualisierung der Produkte unter den Bedingungen einer hoch flexibilisierten Großserien-Produktion. Kunden und Geschäftspartner sind direkt in Geschäfts- und Wertschöpfungsprozesse eingebunden. In Zukunft können wir nicht nur unsere T-Shirts individuell gestalten und online bestellen, sondern auch Autos, Flugzeuge, Schiffe und vieles mehr. Viele Prozesse sind heute bereits computergesteuert. Autonomes Fahren wird LKW-Fahrer komplett aus dem Markt verdrängen. Computergesteuerte Lagerhallen machen den Lageristen überflüssig. Roboter ersetzen schon seit Jahrzehnten Fließbandarbeiter. Industrie 4.0 wird aber nicht nur den typischen “blue collar” Arbeiter verdrängen (das findet schon statt), sondern auch den “white collar” Arbeiter. Unter die “white collar” Arbeiter fallen die klassischen Angestellten, die Büro-, Handels-, Dienstleistungs- und ähnliche Berufe ausüben. Viele Arbeitsschritte, die früher von Menschen gemacht wurden, können heute Algorithmen ausführen. Zum Beispiel Gerichtsurteile auslesen oder Nachrichten erstellen. Die Fähigkeit, die wichtigen Daten erfassen und auswerten zu können (Stichwort Big Data), entscheidet früher oder später über wirtschaftlichen Erfolg von Unternehmen und Individuen. Natürlich werden auch neue Berufe und Berufszweige generiert, aber das sind genau die Berufe, die ein spezielles Knowhow voraussetzen. In einer Arbeitswelt, die darauf ausgelegt ist, dass Computer die meiste Arbeit übernehmen, werden Menschen primär für die Arbeiten benötigt, die ein Computer nicht besser oder günstiger erledigen kann. Elementar für unseren zukünftigen Erfolg in einer digitalisierten Arbeitswelt ist also die Fähigkeit, lebenslang zu lernen, um so immer vor einem Computer zu bleiben. Eben diese Gestaltung der Arbeit der Zukunft wird unter dem Oberbegriff Arbeit 4.0 diskutiert. Konkrete Definitionen für die Begriffe Arbeit 4.0 und Industrie 4.0 werden jedoch erst in einigen Jahren möglich sein, wenn sich herauskristallisiert, was dazugehört.
Die Wirtschaft keiner anderen Nation war bisher im Wandlungsprozess hin zu einer vernetzten Industrie so erfolgreich wie in Deutschland. Dieser Erfolg ist aber nur so viel wert wie die Gesellschaft, die diesen Vorteil nutzen kann und will. In unserer Gesetzgebung und im gesellschaftlichen Diskurs zu dem Thema Digitalisierung hängen wir der Weltspitze weit hinterher. Die entscheidende Frage ist also: wollen wir unsere Gesellschaft endlich auf diese Gefahr hinweisen und die Bürgerinnen und Bürger auf dem Weg des Fortschritts helfend begleiten oder ist es in unserem Sinne, wenn zukünftig nur noch die Klügsten und Fähigsten in der Wirtschaft bestehen? Ich bin der festen Überzeugung, dass wir allen die Möglichkeit geben sollten, sich auf immer schneller verändernde Lebenswirklichkeiten vorzubereiten. Dazu gehört nicht nur der Umgang mit Computern und dem Internet als Werkzeuge, sondern das Schaffen von digitalen Kompetenzen in der Mitte der Gesellschaft.
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