
Bahnfahren in Schleswig-Holstein. Ich pendle seit mehr als sechs Jahren durch das Land. Manchmal glaube ich, das Erlebte hätte Bestsellerqualität. Eigentlich ging es hauptsächlich um neue Bekanntschaften, pikante Geheimnisse oder alkoholbedingte Geständnisse.
In sechs Jahren gewöhnt man sich auch an die ein oder andere Verspätung, entwickelt Verständnis für den Betriebsablauf und schmunzelt eher über einen wetterbedingten Zugausfall, als dass man sich ärgert. Das bringt eh nichts.
Vielleicht hat mich das Pendeln sogar etwas spontaner gemacht. Schließlich werden gerne mal alle Reisepläne über den Haufen geworfen.
Aber kann das sein? Kann es sein, dass andauernd hunderte Pendler auf den Bahnsteigen stehen und vergeblich auf die Bahn warten? An einem Tag fällt das Stellwerk aus. Dann entgleist ein Zug. Oder ein LKW fährt gegen eine Brücke, woraufhin die Gleise gesperrt werden müssen. Klassiker ist auch ein nicht vorhandener Lokführer. Und die Erklärung am Ende sind „Störungen im Betriebsablauf“. Das wäre im Übrigen mal ein passendes Unwort des Jahres.
Neues Phänomenen: eine ganze Flotte kaputter Kupplungen. Scheint irgendwie ansteckend zu sein unter Zügen. Denn von heute auf morgen fiel die gesamte Marschbahn aus. Die Ersatzzüge machten gleich in mehrfacher Hinsicht auf sich aufmerksam. So hatte man zeitweise das Gefühl, man würde mit einer Museumsbahn fahren. Und in Museumsbahnen gibt es keine Toiletten. Wenn man von Hamburg nach Westerland drei Stunden unterwegs ist, hat man danach immerhin eine trainierte Blase. Oder eben Pech. In dem Fall konnte man sich schon eher glücklich schätzen, wenn man es nicht mehr in die überfüllte Bahn geschafft hat.
Jeder vernünftige Mensch fasst nach so einem Erlebnis den Entschluss, sich dafür entschädigen lassen zu wollen. Das Vorhaben endet aber entweder, wenn man die Beförderungsbedingungen und die entsprechenden Voraussetzungen für einen Entschädigungsanspruch gelesen hat oder spätestens, wenn man am Schalter steht und dort darauf hingewiesen wird, dass man sich die Verspätung hätte quittieren lassen müssen.
Ziemlich schwacher Trost, wenn man sich vor Augen führt, dass daran teilweise berufliche und auch private Existenzen hängen. Lange nicht jeder Chef hat Verständnis dafür, dass man nicht nur einmal die Woche anruft und seine Verspätung entschuldigt. Wobei man in der Regel auch keine Angabe darübermachen kann, wie viel später man denn nun eigentlich kommt. Oder ob man überhaupt noch ankommt.
Dass sich nichts ändert, überrascht eigentlich. Denn in der Beurteilung der momentanen Situation sind sich sowohl Pendler, als auch Politiker aller Couleur im Land einig. Es werden Gespräche gesucht, Erklärungen gefunden und Lösungen vertagt. Bis zum nächsten großen Verkehrskollaps.
Ich bin grundsätzlich ein Freund von ruhigen und konstruktiven Gesprächen. Aber scheinbar reicht das nicht. Es reicht nicht aus, dass sich etliche Menschen mit Beschwerden an die Unternehmen wenden. Schließlich hat die Bahn ohnehin keinen Ruf zu verlieren.
Und genau deshalb, muss in Zukunft mehr passieren.
Die Vergabe der Verkehrsstrecken erfolgt für den Nahverkehr durch das Land. Wenn also die Vertragspflichten nicht ordnungsgemäß erfüllt werden, dann muss das Land über Sanktionen nachdenken.
Dabei soll sich nicht das Land an den Verspätungen der Pendler eine goldene Nase verdienen, sondern die Pendler müssen adäquat für die Verspätungen im Nahverkehr entschädigt werden und zwar ohne übermäßige Anspruchsvoraussetzungen und sieben Seiten Antragsformular.
Gleichzeitig muss aber der Druck seitens der Politik erhöht werden und zumindest die infrastrukturellen Probleme des Bahnverkehrs langfristig behoben werden.
Das Thema stand gerade wieder auf der Tagesordnung im Landtag. Und wieder einmal waren sich alle einig, dass etwas passieren müsse. Aber Ermahnungen seitens der Politik gebe es schon genug. Naja, anscheinend ja nicht, wenn offensichtlich nichts passiert.
Die Pendlerströme nehmen seit Jahren zu. Zwar wurde in den vergangenen Jahren durch mehr Züge und bessere Verbindungen auf die Nachfrage reagiert. Aber selbst das reicht nicht aus, wenn bestellte Züge im Werk stehen oder eben nach vergleichsweise kurzer Zeit wieder aus dem Betrieb genommen werden müssen. Selbstverständlich sind hieran nicht nur die Transportunternehmen selbst beteiligt, sondern viele unterschiedliche Akteure.
Aber es kann nicht sein, dass am Ende wieder der Pendler im Regen steht. Im wahrsten Sinne des Wortes.
Die Landesregierung gelobt Besserung und der Chef der Staatskanzlei sagte am Rande eines Gesprächs, zum Ende der Legislaturperiode (immerhin im Jahr 2021) dürfe nirgendwo mehr ein Pendler rumstehen und auf einen Zug warten. Bei der ambitionierten Zielsetzung muss aber nun auch mal angefangen werden.
Liebe Landespolitiker, empört Euch endlich mal! Sonst lasst ihr Euch auch nicht durch Erklärungen und Ausreden vertrösten!
Und was ja vielleicht für den einen oder anderen Politiker auch nicht ganz uninteressant ist: in dem Bereich gibt es massig Profilierungsmöglichkeiten. Also, auf sie mit Gebrüll.
Übrigens, ein wenig Hoffnung habe ich nach der Zugentgleisung in Elmshorn. Vielleicht hat man jetzt ja auch in Berlin verstanden, dass die Strecke zwischen Hamburg und Elmshorn von bundesweiter Bedeutung ist, nachdem die dortige Sperrung nahezu zum Kollaps des gesamten Bahnverkehrs im Land geführt hat. Die Hoffnung stirbt zumindest zuletzt.
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