Kein Recht auf Home Office!

23.05.2020
Persönliche Meinung

Blogbeitrag zur aktuellen Diskussion um die Zukunft des Home Office von Toufic Schilling, Mitglied des Landesvorstandes der JU Schleswig-Holstein.

Mit dem allbestimmenden Ziel, die Ausbreitung des neuartigen Coronavirus (Covid-19) zu verlangsamen, ist zuhause bleiben das Gebot der Stunde. In den letzten Monaten sind deshalb notgedrungen viele Tätigkeiten in private Wohnungen verlagert worden. Das betrifft auch solche Tätigkeiten, bei denen die Heimarbeit noch ein paar Wochen vor Ausbruch der Pandemie unvorstellbar erschien. Angesichts der damit einhergehenden Herausforderungen könnte ein Arbeitsminister nun den beeindruckenden Zusammenhalt zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern und ihre Flexibilität lobend hervorheben; er könnte über Maßnahmen zur Sicherung von Arbeitsplätzen nachdenken; er könnte auch den Kraftakt, den die deutsche Wirtschaft in der Krise erbringt, honorieren, z.B. durch maßgeschneiderte Erleichterungen im Arbeitsrecht.
Die Prioritäten des deutschen Bundesarbeitsministers sind aber andere. Hubertus Heil schlägt ein "Recht auf Homeoffice" vor und verlangt damit in unsicheren Zeiten schwerwiegende Zugeständnisse von der Wirtschaft ab. Sein Vorschlag ist gewiss nicht neu. Er war schon Teil des vor über einem Jahr präsentierten SPD-Strategiepapiers zur "künftigen Arbeitswelt". Das Thema hat aber jetzt an Bedeutung gewonnen. Denn viele Deutsche konnten ihre ersten Erfahrungen mit dem Homeoffice machen und die unbestrittenen Vorteile unmittelbar spüren. Die öffentliche Meinung scheint vereint: Homeoffice hat geklappt!


Wenn Homeoffice in der Krise flächendeckend klappt, dann ist das doch ein Modell für die Nachkrisenzeit, oder? Diese Milchmädchenrechnung verkennt, dass aktuell große Teile der Wertschöpfung krisenbedingt ausbleiben und deshalb die Auslastung der Wirtschaft stark gesunken ist. Denn bei einer niedrigeren Auslastung bestehen logischerweise zeitliche Spielräume zum Ausgleich von Ineffizienzen. Damit soll aber nicht gesagt sein, dass die deutsche Wirtschaft nicht im Stande ist, die Leistungskraft aus der Vorkrisenzeit auch im Homeoffice zu erbringen. Die Vorzeichen hin zu einer flexibleren Arbeitswelt hatte die deutsche Wirtschaft auch schon vor der Pandemie erkannt. 2018 haben bereits 39% der befragten Unternehmen Homeoffice angeboten, wie eine Umfrage des Digitalverbandes Bitkom ergab. Wir sind also mitten in der Transformation. Bislang ist aber Homeoffice aus guten Gründen eine gemeinsame Entscheidung der Arbeitnehmer und Arbeitgeber. Denn nicht jede Art der Tätigkeit eignet sich für Homeoffice.


Wem will also der Bundesarbeitsminister mit einem Recht auf Homeoffice einen Gefallen erweisen? – den Bäckern, den Pflegern, den Bauarbeitern und den Verkäufern sicher nicht. Bei den Bürotätigkeiten herrscht aber schon aktuell ein Trend zur Einrichtung sogenannter "Pools", auf die nur bei Bedarf zurückgegriffen werden kann. Ziel ist aber nicht die höhere Flexibilität von Arbeitnehmern, sondern schlichtweg die Ersparnis von Lohnkosten durch die höhere Auslastung der Belegschaft. Beschäftigt also ein Unternehmen beispielsweise im Assistenzbereich 100 Mitarbeiter, deren Auslastung bei jeweils durchschnittlich 80% liegt, kann es durch die Ein-richtung eines Pools und die Erhöhung der durchschnittlichen Auslastung auf jeweils 100% bis zu 20 Mitarbeiter "einsparen". Dieser Trend wird uns viele, in der Regel niedriger bezahlte Arbeitsplätze kosten. Er ist zwar angesichts der Digitalisierung nicht mehr aufzuhalten, aber ist es politisch klug, die laufende Transformation noch zu befeuern? Ich meine nicht.


Bei dieser Transformation stehen Arbeitgeber vor immensen Herausforderungen. Schon die Einhaltung von Vorgaben des Datenschutzes und der Geheimhaltung kann bei Homeoffice ein großes Hindernis sein. Anders als die wörtliche Übersetzung des Begriffs "Homeoffice" aus dem Englischen (Heimbüro) vermuten lässt, soll der Rechtsanspruch gerade nicht voraussetzen, dass der Arbeitnehmer einen (etwa abgeschlossenen) Arbeitsraum (Büro) in seiner Wohnung vorhält. Das könnten in Deutschland ohnehin nur die Wenigsten erfüllen und kann daher nicht dem Anliegen des SPD-Bundesarbeitsministers entsprechen. Der Anglizismus wird hier, wie in Deutschland üblich, als Oberbegriff für die flexible Heimarbeit genutzt. Es soll also jedem Ar-beitnehmer gesetzlich zustehen, selbst den Ort der Ausübung seiner Tätigkeit zu bestimmen. Ob der Arbeitnehmer dann seine Arbeitsleistung aus dem Urlaubsort, dem Café oder am Küchentisch erbringt, soll er eigenständig entscheiden können.
Zu den größten Arbeitgebern gehört die öffentliche Hand. Es bleibt deshalb spannend, welche Konzepte z.B. die Bundesländer für ihre Beamten erarbeiten. Wird künftig ein kurzes Telefonat zwischen Finanzbeamten und Steuerpflichtigem noch möglich sein? Oder steht dem das Steuer-geheimnis entgegen, weil andere Personen im Haushalt des Beamten die Besprechung belau-schen könnten? Können Hartz-IV-Empfänger noch die so dringend erforderliche persönliche Betreuung erhalten? Parallele Fragen stellen sich für die Wirtschaft. Hier wird der Schutz vor Wirtschaftsspionage eine wichtige Rolle spielen müssen.


Mögen die Herausforderungen des Datenschutzes durchaus überwindbar sein, so erschüttert mich aber, die Oberflächlichkeit der geführten Debatte. Das ist ein Phänomen der letzten Jahre, die von populistischen Schlagwörtern und ihrer Deutungshoheit von Linken ebenso wie Rechten dominiert wurden. Eine Debattenkultur der Content Creator und der Klickrate. Argumente werden – gerne ohne kritische Auseinandersetzung – als unverhandelbare Tatsachen präsentiert. Dabei sind sie nur (teilweise eigensinnige) Schlussfolgerungen aus Tatsachen.
Tatsache ist beispielsweise, dass durch Heimarbeit die physische Anwesenheit Zuhause ermöglicht und die Pendelzeit eingespart wird. Dass dies aber zu mehr "Vereinbarkeit von Familie und Beruf" führt, ist eine Schlussfolgerung, die durchaus in Zweifel gezogen werden darf. Eine Studie der Universität Basel hat nämlich ergeben, dass Heimarbeiter im Durchschnitt etwa 2,5 Stunden pro Woche mehr arbeiten. Außerdem bleiben sie häufiger auch nach Feierabend mit den Gedanken bei der Arbeit. Damit ist die eingesparte Pendelzeit schnell aufgebraucht. Viel gravierender ist doch aber die Vorstellung, Heimarbeiter könnten die Betreuung ihrer Kinder besser organisieren. Wer das meint, hat ein merkwürdiges Verständnis von Kinderbetreuung. Kinderbetreuung erfordert nicht nur die körperlich-physische Anwesenheit der betreuenden Person, sondern sinnvolle Beschäftigung und damit auch ihre geistige Aufmerksamkeit. Wie sollen Eltern, vor allem aber Mütter, den beeindruckenden Kraftakt der letzten Wochen dauerhaft aufrechterhalten?


Wenig diskutiert erscheint mir auch, welche wirtschaftlichen und sozialen Auswirkungen es hat, wenn der direkte Austausch zu den Arbeitskollegen fehlt; wenn Menschen sich abkapseln. Stattdessen wird häufig angeführt, dass eine Mehrheit der wahlberechtigten Deutschen einen gesetzlichen Anspruch auf Homeoffice befürwortet. Aber welche Schlussfolgerung ziehen wir aus dieser Tatsache? Klar ist jedenfalls, dass es keinen Automatismus zwischen der Mehrheitsmeinung und dem richtigen Weg geben kann. Das zeigt die Mehrheit für ein bedingungsloses Grundeinkommen sehr deutlich. Hier wie dort ist die Mehrheit auf einem Irrweg. Dass diese Mehrheitsmeinungen unberücksichtigt bleiben, ist ein Verdienst unserer repräsentativen Demokratie, die auf Abwägung von Sachargumenten gründet.


Was kann die Politik nun stattdessen tun? Statt einem Rechtsanspruch auf Homeoffice könnte die Politik die rechtlichen Rahmenbedingungen für das flexible Arbeiten und dem Homeoffice nachjustieren. Die teilweise strengen Anforderungen des Arbeitsrechts z.B. für Arbeitsschutz und vermeintlicher Arbeitssicherheit in der eigenen Wohnung könnten praktikablen Lösungen weichen. Ist es wirklich erforderlich, dass der Stuhl des Arbeitnehmers am heimischen (Tele-) Arbeitsplatz ergonomischen Maßstäben genügen muss und die Lichtverhältnisse bestimmte Vorgaben erfüllen müssen? Auch steuerrechtlich könnte die Politik auf die Beseitigung bestehender Unsicherheiten hinwirken. Nach aktuellem Recht kann die Tätigkeit eines Arbeitnehmers zu einer Doppelbesteuerung des Unternehmens oder einer Verschiebung der Gewerbesteuerpflicht auf andere Gemeinden und damit zu einer steuerlichen Mehrbelastung führen. Es ist verständlich, wenn Arbeitgeber dieses Risiko nicht eingehen wollen. Daneben könnten zusätzliche steuerliche Anreize für Arbeitnehmer und Arbeitgeber geschaffen werden. Die Palette ist groß. Man muss es nur wollen!