
Seitdem es das Internet für die Masse gibt, versuchen spezielle Lobbygruppen mit Hilfe von ahnungslosen Politikern das Internet wieder einzudämmen. Gewiefte Vertreter der Musik- und Filmindustrie flüstern in Amerika und Europa seit den 90ern den (nicht bösartig gemeint) digitalen Neandertalern, der Generation, die bei der Erfindung des Internets bereits erwachsen war, ein, dass die Gewinne wegbrächen und Raubkopierer den ganzen Industriezweig zerstören würden. Der Gewinn der großen Konzerne wie Warner Bros., Disney und anderen zeigt ein ganz anderes Bild. Die amerikanische Musikindustrie hatte durch solches Agieren zwar Napster in die Knie gezwungen, wurde dann aber von Apple mit iTunes auf links gedreht. Netflix hat den großen Filmproduzenten gezeigt, wie Geschäftsmodelle im 21. Jahrhundert aussehen können. Vermutlich werden Nintendo oder Valve dasselbe mit Abo-Modellen für Computerspiele in der Spielebranche tun. Jetzt kann man es denen, die die Entwicklung des Internets noch nie aktiv miterlebt oder betrieben haben, nicht vorwerfen, dass sie auf vermeintliche Experten hören. In der Politik sind wir alle auf Berater und Experten angewiesen. Aber wenn digitale Neandertaler andere digitale Neandertaler beraten, dann muss man sich nicht wundern, dass wir wieder mit analogen Mäusen vor unserem Pentium 2 Gerät mit Windows 95 herumsitzen. Das Problem sind also die völlig falsch gewählten Berater und daran ist jeder Politiker selbst schuld.
Was eine an der Realität vorbeigehende Netzpolitik anrichten kann, sehen wir in Deutschland jeden Tag. Das Telemediengesetz vom 01. März 2007, mit der darin enthaltenen Störerhaftung – das Gesetz, das freies WLAN in Deutschland über ein Jahrzehnt verhindert hat und heute noch immer nicht ganz abgeschafft ist – hat uns in der digitalen Entwicklung hinter den Rest der freien Welt befördert. Während es in anderen Ländern normal ist, dass selbst am Strand arbeiten möglich ist, können wir in Innenstädten nicht mal vernünftig E-Mails abrufen, weil die Infrastruktur bis heute noch nicht an die stetig steigenden Leistungsanforderungen angepasst werden konnte. Wie immer waren CDU und SPD an diesem Gesetz beteiligt und haben sich ausschließlich von Gruppen beraten lassen, die ihr Geld mit traditionellen Vermarktungsgeschäften verdienen und damit wenig Interesse an die Anpassung ans 21. Jahrhundert haben. Digital Natives, also Personen die quasi mit dem Internet aufgewachsen sind, so wie heute hoffentlich jedes Mitglied der Jungen Union, waren 2007 nicht in den Parlamenten und hatten insbesondere in Deutschland auch keine große Lobby. Gesetze wie das Telemediengesetz haben in Deutschland zu einem ganz erheblichen Teil die digitale Kluft befördert. Wir reden hier aber nicht nur von Menschen die sich mit Computern auskennen und denen die sich damit nicht auskennen, sondern auch einer enormen Kluft im Wissensstand zwischen 30 Jährigen und den im EU Parlament entscheidenden 60 Jährigen. In asiatischen Ländern ist es völlig normal, dass selbst Rentner täglich den Zugang zur digitalen Welt nutzen. In Deutschland trauert ein nicht unerheblicher Teil noch dem Nokia 3310 nach.
Wie tief die digitale Kluft zwischen dem EU Parlament und der Realität ist, zeigt sich seit Jahren in verschiedenen Gesetzesvorhaben. In den 2000ern wurde lange über ACTA (Anti-Counterfeiting Trade Agreement) verhandelt und 2012 schließlich, nach großen Protesten, abgelehnt. Nachdem in verschiedenen Gesetzesentwürfen noch von Upload-Filtern gesprochen wurde und jedes Mal ein Sturm der Entrüstung durch die Gesellschaft ging, so versucht man jetzt diese Worte lieber kompliziert zu umschreiben, damit Vorschläge weniger hochkochen. In diesem Jahrzehnt kommt jetzt die “Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über das Urheberrecht im digitalen Binnenmarkt”. Zwei auf ihre Art und Weise ganz besondere Befürworter dieses Gesetzes sind die CDU Abgeordneten Axel Voss und Sven Schulze[1]. Während Axel Voss uns Bürger für dumm verkaufen will, ist Sven Schulzes digitales Wissen und Verständnis völlig auf die Zahl 404 beschränkt. Der Artikel 13 der EU-Richtlinie überträgt die Haftung bei Urheberrechtsverstößen vom Nutzer auf den Betreiber der Plattform. Aus eigenem und wirtschaftlichem Interesse muss der Betreiber also die Urheberrechtsverletzung verhindern, bevor sie auf der Plattform öffentlich wird. Die Aussage von Herrn Voss, dass der Begriff Upload-Filter nicht im Text steht, ist an sich völlig richtig. Aber seine Aussage: „Was wir jetzt hier versuchen, ist, die Erkennungssoftware von urheberrechtlich geschützten Werken irgendwie zugrunde zu legen.“[2], beschreibt genau das was ein Upload-Filter ist. Eine Erkennungssoftware die beim Hochladen von Inhalten erkennen und den Upload stoppen soll, sofern keine Nutzungslizenz vorliegt. Diese Software muss nicht nur Bilder erkennen, wie das geht kann jeder bei Google sehr gut nachschauen, sondern auch Texte, Filme und andere Dateien erkennen und mit einer entsprechenden Datenbank abgleichen. Wer sich schon mal mit maschinellem Lernen beschäftigt hat, wird sofort feststellen, dass, selbst wenn es einen guten Algorithmus geben könnte, wir gar nicht genug Daten haben, um diesen Algorithmus so zu trainieren, dass er ausschließlich Urheberrechtsverletzungen filtert. All diese schlauen Algorithmen müssen entweder ein klares Regelwerk kennen oder benötigen genügend gute Trainingsdaten, die JEDEN möglichen Fall abdecken. Ich glaube ich lehne mich nicht zu weit aus dem Fenster, wenn ich sage, dass die Menschheit bisher beides nicht besitzt und nicht mal eine Idee hat wie das mit 100 prozentiger Sicherheit gehen könnte. Hätte der Herr Voss mal mit IT Experten oder wenigstens Informatikstudenten geredet, wüsste er, dass der Upload-Filter, den die Musik- und Filmindustrie so gerne hätte, eine Totgeburt ist. Die Folge sind sehr restriktive Uploadregeln, so dass im Extremfall auch Meinungen gefiltert werden könnten. Das würde dem Tod des freien Internets gleichkommen. Digital Natives nutzen dann vermehrt das Darknet und tauschen Bilder, Filme und Musik völlig kostenlos, werden also vermehrt zu Raubkopierern. Der Rest kauft wieder vermehrt Briefmarken bei der Deutschen Post.
Ich kann verstehen, dass die Europäische Union die Monopolstellung von amerikanischen IT Konzernen brechen will und alle Künstler sollen an ihrer Kunst so viel Geld wie möglich verdienen sollen, aber wie immer in den letzten dreißig Jahren, agiert die Politik netzpolitisch wieder kopflos und mit Ideen aus dem 20. Jahrhundert. Facebook, Google und co. interessiert es einen feuchten Kehricht, ob man sich kostenlose Lizenzen von allen großen Rechteinhabern geben lässt oder halt die Inhalte in Europa komplett sperrt. Schaden tut es nur kleinen Betreibern, die nicht die Marktmacht haben, also so ca. allen Start-Ups in Deutschland und der EU, weil wir allen klugen Köpfen durch solche Gesetze seit Jahrzehnten Steine in den Weg legen. Axel Voss und andere EU Parlamentarier schaden somit nicht nur der europäischen Wirtschaft, sondern insbesondere auch der deutschen. Durch solche Ideen wird die Vormachtstellung von amerikanischen IT-Riesen nur einbetoniert.
Eigentlich müsste ich auch noch auf Artikel 3 und Artikel 11 der EU-Urheberrechtsreform eingehen, aber diese Vorschläge sind so dämlich, dass einem die Zeit fast zu schade ist. Daher zusammengefasst: Artikel 11 ist das Leistungsschutzrecht, das in Deutschland schon prima funktioniert hat. Mit Artikel 11 schreiben alle europäischen Verleger einen Brief an Google, mit dem Zugeständnis, dass Google weiterhin kostenlos die Artikel in der Suche anbieten darf. Alternativ erhalten die Nachrichtenportale sonst weniger Klicks, also weniger Einnahmen. Artikel 3 beerdigt Big Data Bestrebungen in Europa und in Amerika und China knallen die Sektkorken. Fun fact am Rande: ich kenne keine besseren News-Aggregatoren als Facebook und Twitter, weil alle Nachrichtenportale hier tagesaktuell ihre Artikel selbst teilen und die Algorithmen alle Artikel schön sortiert darstellen. Google nutzt man eigentlich nur für weitere oder speziellere Recherche.
Die Europäische Urheberrechtsreform ist also so dilettantisch entwickelt worden, dass es jedem, der schon mal das Internet benutzt hat, weh tun müsste. Keine Horde von Angestellten wird Inhalte filtern können, kein Algorithmus kann Inhalt zuverlässig filtern, kein Künstler bekommt auch nur einen Cent mehr für sein Werk, kein Verlag macht weniger Verluste und dafür verliert die CDU die Generationen Y und Z als Wählerschaft. Sollte die Richtlinie so durchkommen, dann auch zurecht. Von der SPD erwarte ich nichts anderes als eine Zustimmung zu der Richtlinie, weil die Partei mehr Angst vor dem Internet hat, als vor der Bedeutungslosigkeit. Von der CDU erwarte ich aber eine klare Haltung gegen Upload-Filter. Im Schleswig-Holsteinischen Landtag hat sich die CDU Fraktion mit Lukas Kilian klar gegen Artikel 13 ausgesprochen. Diese EU-Richtlinie ist die letzte Schlacht, in einem Dreißigjährigen Krieg um die Nutzung des Internets. Setzen sich die digitalen Neandertaler gegen die Digital Natives durch, so stellt es unser Verständnis vom Internet auf den Kopf. Gewinnen wir Digital Natives, dann retten wir nicht nur unser Internet, sondern haben durch die Demographie auch eine gesellschaftliche und auch parlamentarische Mehrheit, gegen die ähnliche Gesetze nicht mehr erfolgversprechend sind.
Erst wenn die Generation, die in der digitalen Welt aufgewachsen ist, das politische Handeln bestimmt, kann ein vernünftiges Urheberrecht im Internet eingeführt werden. Beim Urheberrecht dürfen wir nicht einseitig auf den Rechteinhaber oder Nutzer blicken, sondern müssen beide Seiten berücksichtigen. Dabei können uns auch starke kryptographische Algorithmen helfen. Wieso setzen wir uns im EU Parlament nicht mal dafür ein, dass wir bessere kryptographische Werkzeuge erforschen, um die digitale Signatur besser und effektiver zu machen? Wenn ich an jede von mir entwickelte Datei meine einzigartige digitale Signatur anheften kann, dann kann die Herkunft möglicherweise eindeutig festgestellt werden und ich entscheide selbst, was mit meinem Eigentum passiert. Wieso probieren wir nicht mal neue Wege mit freiwilligen Mikrotransaktionen für künstlerisch wertvolle Produkte aus? In den 90ern mussten wir ganze CDs kaufen, auch wenn man nur ein Lied hören wollte. Das ist heute kaum noch vorstellbar, nachdem Apple mit iTunes die Möglichkeit geschaffen hat, dass jeder sich auch einzelne Lieder, statt der ganzen CD, kaufen kann. Abo-Modelle wie bei Spotify lassen uns legal unser eigener DJ sein, ohne die Titel überhaupt zu besitzen. Die deutsche Mentalität dem Urheberrecht gegenüber ist ein viel größeres Problem, als die paar Verletzungen die auf Facebook und anderen Plattform stattfinden. Damit meine ich ausdrücklich nicht Plattformen wie Kinox, die ihr Geschäft ausschließlich auf Piraterie aufbauen.
Im Europaparlament sitzt für die CDU Schleswig-Holstein derzeit der Abgeordnete Reimer Böge, der uns mit in die digitale Steinzeit katapultieren kann. Hier ist es unsere Aufgabe als Junge Union Schleswig-Holstein klare Kante zu zeigen und sicher zu stellen, dass eine seiner letzten Entscheidungen im EU-Parlament nicht unser Internet auf den Kopf stellt. Wer die Aktivitäten im Neuland mitverfolgt, sieht, dass mittlerweile die Top Hashtags im deutschsprachigen Raum #NieMehrCDU, #Artikel13, #niewiederCDU, #SaveYourInternet und #LügenManni sind. Das ist keine Bot-Kampagne von Google, wie Sven Schulze es behauptet (die Aussage lässt einen noch immer sprachlos zurück). Das ist auch keine Netzkampagne, wie unsere Vorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer es behauptet. Das sind Kampagnen aus der Mitte der Gesellschaft, von den Generationen Y und Z, die das Internet wie selbstverständlich nutzt. YouTuber, Schüler, Studenten, Tech-Unternehmen, Politiker aller Parteien und ganz normale Bürger nehmen an der Kampagne teil. Das müssen auch CDU und CSU endlich erkennen und gegen Artikel 13 stimmen. Also werdet lauter! Schreibt euren MdEPs was ihr vom Artikel 13 haltet oder geht zu den angekündigten Großdemos! #SaveYourInternet
Alexander Barbie, Kreisvorsitzender der JU Kiel
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