
Wenn die Forderung nach einer deutschen Atombombe schon als Aufmacher in der Welt am Sonntag landet, kann ich nicht umhin, allen eine kurze Exkursion in die deutsche Geschichte zu empfehlen.
Jedem Zeitungsleser dürfte bekannt sein, dass das klassische Sicherheitsgefüge der Staatengemeinschaft nicht erst seit Trumps Amtsantritt bröckelt. Die Annektion der Krim und Terror auf allen Kontinenten führen uns auf dramatische Weise vor Augen, wie dünn der zivilisatorische Boden ist, auf dem unser europäischer Frieden ruht. Die Zermürbung der NATO durch die Androhung Amerikas, das Bündnis zu verlassen, und unzuverlässige Partner wie die Türkei oder das wankelmütige Großbritannien tragen nicht unbedingt zum allgemeinen Sicherheitsgefühl bei.
Doch sollte die Antwort darauf lauten, im deutschen Alleingang die vierte Atommacht in Europa zu werden?
Zuallererst würde dies einen Eingriff in internationales Recht in Form des Nuklearen Nichtverbreitungsvertrages (NVV) darstellen. Auch wenn dieser explizit eine Austrittsmöglichkeit bereithält, von der bisher aber lediglich Nordkorea Gebrauch gemacht hat. Der NVV wurde geschlossen, als die Vereinten Nationen sich darüber klar wurden, dass ein nuklearer Erstschlag unweigerlich zu einem rächenden Zweitschlag führen würde. Ein Szenario, das spätestens in der Kubakrise den Schatten einer weltweit verheerenden Zukunft warf. Auch wenn die Mitgliedstaaten den darin vereinbarten Abrüstungsbestimmungen nicht vollumfänglich nachkamen, wurde ein Atomkrieg bisher verhindert. Eine Änderung des Status Quo ist auch in Anbetracht der aktuellen Modernisierung vieler nuklearer Arsenale nicht abzusehen. Das Ergebnis bliebe stets das gleiche wie zu Zeiten des kalten Krieges. Ein Ergebnis, das für niemanden erstrebenswert ist.
Warum ist Deutschland als Atommacht kein erstrebenswertes Ziel?
Man könnte meinen, die Bundeswehr, die seit dem kalten Krieg erheblich an Kampfkraft eingebüßt hat, würde durch die Ausstellung eigener Atomstreitkräfte schlagkräftiger. Möglicherweise bald ohne den Schirm der USA müssen wir uns selbst beschützen. Dies ist ein Trugschluss, welchen Deutschland schon einmal gemacht hat.
Als Deutschland sich zu Beginn des letzten Jahrhunderts zur Großmacht in Europa aufgeschwungen hatte, wurde das Korsett der unter Otto von Bismarcks Führung geschmiedeten Bündnisse (Drei-Kaiser-Bund, Mittelmeerentente) vielen im Reich zu steif. Das System, das der neuen Großmacht Jahrzehnte der Sicherheit und des Wohlstandes im Herzen Europas ermöglicht hatte, wurde von Kaiser Wilhelm II. über den Haufen geworfen, um im Orchester der Kolonialmächte mitzuspielen. Die verschmähten Bündnispartner bildeten neue Allianzen, man schloss sich selbst aus und wurde gleichzeitig eingekreist.
Die Folge war unter anderem eine Modernisierung und Vergrößerung der Streitkräfte, um nicht mehr von den ehemaligen Partnern abhängig zu sein. Diese mündete letztendlich in den ersten Weltkrieg, der Europa verwüstete.
Auswege liegen in Bündnissen
Für Deutschland, wie auch für unsere europäischen Partner, selbst für Atommächte wie Großbritannien und Frankreich, sollte klar sein, dass wir alleine keinen sicherheitspolitischen Gegenpol zu modernen, zahlenmäßig weit überlegenen Streitkräften wie Russland oder China darstellen können. Außerdem lass sich unsere Feinde, die keine traditionelle Kriegsführung betreiben, nur bedingt auf einer Landkarte finden. Terrornetzwerke wie der IS oder die Taliban leben verstreut inmitten der lokalen Zivilbevölkerung. Der Einsatz von Atomwaffen würde zu zahllosen unbeteiligten Toten führen. Die Situation würde sich kaum stabilisieren.
Des Weiteren sollte es trotz aller Drohungen nicht in unserem Interesse liegen, proaktiv Bündnisse zu untergraben. Die NATO ist noch lange kein zahnloser Tiger, wie beispielsweise das Trapwiresystem im Baltikum beweist. Auch die Amerikaner wissen um den Wert von Stützpunkten in Europa. Auch europäische Strukturen wie PESCO stärken die Wehrhaftigkeit aller Mitgliedstaaten.
Statt also Milliarden in den Aufbau eines neuen Atomwaffenprogramms zu investieren, sollten wir uns um den Aufbau unserer konventionellen Streitkräfte bemühen. Flexible, kleine Einsatzkontingente zur schnellen Reaktion auf regionale Herausforderungen werden in Zukunft ein dringend benötigter Streitkräftetypus werden. Durch eine Steigerung der Einsatzbereitschaft der Bundeswehr, was auch durch die Wiedereinführung der Wehrpflicht gefördert werden könnte, kann unsere Verlässlichkeit und damit auch internationale Anerkennung gesteigert werden. Ein Hauptgrund für Austrittsandrohungen der USA stellt zu Recht der Hinweis auf Deutschlands sicherheitspolitische Trittbrettfahrermentalität dar. Trotz außenpolitischer Interessenkonflikte innerhalb der EU verbindet uns wirtschaftlich, politisch und kulturell vieles mit unseren europäischen Nachbarn. Eine schlagkräftige Bundeswehr in einem geschlossenen Europa ist der bessere Weg zu einem neuen Sicherheitsgefühl und internationaler Anerkennung für Deutschland in der Welt.
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