
Mein letzter Blog-Beitrag stellte den Begriff der digitale Kluft vor und ich sprach die zunehmende Bedeutung von Digitalkompetenzen (digital literacy) an. Die vierte industrielle Revolution wird von den Gesellschaften erfolgreich gestaltet, die genügend Wissen und Fähigkeiten in einer neuen, digitalen, Welt in sich vereinen. Als eine der führenden Wirtschaftsnationen dürfen wir uns in Deutschland nicht auf Lorbeeren ausruhen, sondern müssen die Digitalisierung unserer Industrie aktiv gestalten. Das erreichen wir nicht mit Druck, die Menschen digitaler werden zu lassen, stattdessen müssen wir “digital” Leben. Das letzte große deutsche IT Start-Up wurde bereits 1972 von Mitarbeitern von IBM gegründet und heißt SAP. Als „Unicorns“ werden Start-ups bezeichnet, die mindestens eine Milliarde Dollar wert sind. Weltweit sind es knapp 150, aber nur wenige kommen dabei aus Deutschland. In Deutschland werden viele kluge Köpfe geboren und ausgebildet, aber sie werden von Unternehmen im Ausland angeheuert und bauen dadurch keine deutschen Weltmarktführer auf. Wir müssen nicht nur die klügsten Köpfe von Morgen ausbilden, sondern auch Anreize schaffen sie hier zu halten. Die Ausbildung neuer Generationen ist ein Hebel, um digital literacy in der Gesellschaft zu verbreiten. Kinder lernen schnell und spielerisch. Sie bringen das Wissen in die Familien und sind daher ein Multiplikator. Eine frühe Bildung von Digitalkompetenzen bei Kindern erspart uns daher eine teure Weiterbildung bei vielen älteren Arbeitnehmern.
In diesem Jahr befasste sich die Junge Union S-H nun mehrfach mit den Themen Industrie 4.0 und Arbeit 4.0. Auch drehte sich der Leitantrag des Deutschland Tages, genauso wie der letzte Landesausschuss der CDU S-H, um Industrie 4.0. Wir haben festgestellt, dass die Digitalisierung die größte Herausforderung des nächsten Jahrzehnts darstellt. Sie verändert unser Miteinander, die Industrie, Produkte, den Konsum und unsere Art zu arbeiten. Sie schafft ungeahnte Möglichkeiten, unser Leben zu verbessern, nicht nur mit mehr Freizeit, sondern auch mit mehr Komfort. Betrachten wir Branchen in denen Deutschland Weltmarktführer ist, so sehen wir heute, dass wir unseren Vorsprung im Ingenieurwesen verlieren. Autonomes Fahren wird von Tesla, Google (und Apple) im Silicon Valley entwickelt. Der Sektor der erneuerbaren Energien wird durch die Powerwall von Tesla aufgemischt. Das oben angesprochene SAP kämpft mit Salesforce um die Führung im Bereich Geschäftsanwendungen. Unser Ziel muss es daher sein, mehr digital Natives zu erziehen, um Ingenieurskunst made in Germany wieder attraktiver zu machen. Wir dürfen nicht nur die Werkbank der Welt werden.
Digitalisierung fordert von uns im politischen Diskurs jedoch auch mehr Engagement mit der Technologie hinter den Geräten und der Software, die wir nutzen. Die meisten von uns wissen gar nicht, wie der Stand der Technik derzeit ist, was bereits marktreif eingesetzt wird und was Unternehmen wie Google, Microsoft und Apple mit Milliarden Investments erforschen. Das führt dazu, dass wir in unseren Diskussionen meilenweit hinter dem Stand der Technik sind und uns in den politischen Diskussionen nur bedingt mit den großen Herausforderungen beschäftigen können. Nur zum Vergleich: Während wir in Deutschland über Störerhaftung und freies WLAN diskutieren, wird in den USA über Vorteile und Gefahren von künstlicher Intelligenz diskutiert. Eine moderne Netzpolitik, Industrie 4.0 und Arbeit 4.0 können nicht mit Methoden der 90er Jahre umgesetzt werden. Wir müssen nach vorne gucken, uns darüber im Klaren werden, welche Technologien in den nächsten fünf Jahren marktreif sein könnten und welche Konsequenzen die Technologien für den Alltag haben. Nur so schaffen wir Rahmenbedingungen für eine erfolgreiche zukunftsorientierte Wirtschaft. Ich will aber auch ganz ehrlich sein: wer über Digitalisierung reden will, muss auch eine neue Sprache lernen. Die Komplexität der Geräte und deren Software steigt schneller als den meisten von uns lieb ist. Das führt zu immer mehr Fachbegriffen, ohne die vieles nicht mehr erklärt werden kann. Zentrale Prinzipien, nach denen Software entwickelt wird, sind gar nicht zu erklären, ohne die entsprechenden Begriffe und Techniken zu kennen. Natürlich müssen wir jetzt nicht alle Software Entwickler werden, dennoch sollte informatorisches Wissen mittlerweile zur Allgemeinbildung gehören und muss zukünftigen Generationen mit an die Hand gegeben werden. Prinzipien nach denen Software entwickelt wird sind immer dieselben, sie werden aber immer Umfangreicher. Informatorisches Wissen ist entscheidend, um qualifiziert über Copyright, Kreativität und Gerechtigkeit in einer digitalisierten Welt mitdiskutieren zu können. Nur mit digitaler Mündigkeit geben wir der nächsten Generation und damit Deutschland einen Platz in der Zukunft. Das heißt, dass Informatikunterricht ein zentraler und verpflichtender Teil in unserem Bildungssystem werden muss.
Jeder von uns nutzt Informatiksysteme während der Arbeit oder im Alltag. Aber nur die wenigsten wissen wie Software auf einem Handy mit der Hardware harmoniert oder wie Computer Daten über das Internet verschicken und wieso Cloud Computing für viele Unternehmen so wichtig ist. Die meisten konsumieren zwar, haben aber kein Verständnis dafür, wie die Software funktionieren könnte. Dabei ist es essenziell zu wissen, nach welchen Prinzipien Kommunikation über das Internet funktioniert, um zu verstehen, wieso unsere gesamte Kommunikation in wenigen Jahren verschlüsselt in einer Cloud liegt und die Polizei oder Geheimdienste nur schwer darauf zugreifen können werden. Wer Daten bei der Übertragung nicht verschlüsselt, kann Opfer von Missbrauch oder Manipulation werden. Daher sind die Hauptziele der Informationssicherheit Vertraulichkeit, Integrität und Verfügbarkeit. Es gibt auch noch weitere Ziele wie Authentizität und Zurechenbarkeit, aber die ersten drei sorgen bereits dafür, dass alle Informationen und Daten verschlüsselt sein werden. In unserem Alltag bestimmen zurzeit die großen Tech-Unternehmen, wie die Welt funktioniert. Sie schaffen für uns eine Art Privatsphäre in der digitalen Welt, aber gleichzeitig bestimmen sie auch welche Daten sie von uns nutzen. Das heißt, dass eine kleine Gruppe von Menschen über Milliarden von Konsumenten entscheiden darf. Das ist kein demokratischer Prozess und genau deswegen sollten wir den Konsumenten mündiger machen und ihm bereits ab Geburt beibringen wie die neue Welt funktioniert, damit Er oder Sie mitentscheiden kann. Das nächste Facebook oder Uber sollte aus Deutschland kommen und nicht nur der Konsument.
Bei einem verpflichtenden Informatikunterricht scheiden sich nicht nur bei der JU-SH die Geister, sondern auch in anderen Parteien und Verbänden. Hamburg hat gerade seinen verpflichtenden Informatikunterricht abgeschafft. Die GEW fordert Medienkompetenzen statt Informatikunterricht in den Schulen. Dazu muss man aber wissen, dass Medienkompetenz keine Digitalkompetenz darstellt und sollte bereits in jedem Fach nebenbei unterrichtet werden. Unter Medienkompetenzen fallen Fähigkeiten wie der grundlegende Umgang mit Computern und Office Produkten. Word und Excel haben in den 90ern zu einer produktiveren Gestaltung unserer Arbeit geführt. Der Umgang mit EDV-Programmen ist aber kein Einstellungskriterium mehr, viel mehr sollte es Standard ab der Grundschule sein. Informatikunterricht hingegen vermittelt Grundprinzipien von Hardware und Software. Es werden ganz andere Fähigkeiten und Denkmuster geschult als in den anderen Schulfächern. Fundamentale Ideen der Informatik nutzt die Menschheit seit Jahrtausenden, nur haben wir diese Ideen noch nie so abstrahiert betrachtet wie in der Informatik. Die Gesellschaft für Informatik hat für die Kultusministerkonferenz daher Bildungsstandards definiert. Zu den Inhaltsbereichen zählen “Algorithmen und Datenstrukturen”, “Informationen und Daten”, “Sprachen und Automaten”, “Informatiksysteme” und der Bereich “Informatik, Mensch und Gesellschaft”. Unter Algorithmen und Datenstrukturen können sich die meisten von uns etwas vorstellen. Hier werden die Grundsteine für unsere Programmierkenntnisse gelegt. Interessanter sind “Informationen und Daten”, “Sprachen und Automaten” und “Informatiksysteme”. Letzteres wurde im vorherigen Abschnitt bereits angesprochen. Eng verbunden mit dem Bereich ist “Informationen und Daten”. Wie wir mit Informationen und Daten umgehen und darstellen, ob wir sie nutzen können oder nicht, entscheiden über den Erfolg unserer Wirtschaft, den beteiligten Unternehmen und uns als Individuen. Jeder Bereich unseres Lebens wird digitalisiert, daher kann niemand behaupten, dass Informatik ein Orchideenfach für ganz besonders interessierte Menschen wäre. Vielmehr muss Informatik als Teil der Allgemeinbildung begriffen werden, um eine Chancengerechtigkeit beibehalten zu können.
Es bestehen zwei einfache Möglichkeiten, Informatik in der Sekundarstufe I an Schulen verpflichtend einzuführen. Die Erste ist den Informatikunterricht zusätzlich zu allen anderen Fächern anzubieten. Das erhöht die Studentenzahl der Schüler und erfordert eine Anpassung der Verordnungen und Gesetze. Wahrscheinlich würde das auch zu einer längeren Schulzeit führen. Diese Möglichkeit ist mein Favorit, denn zukünftige Generationen sollten eher mehr statt weniger lernen. Die andere Möglichkeit ist Informatik als Naturwissenschaft in der Schule anzuerkennen und mit Biologie, Physik und Chemie gleichzusetzen. Dann kann Informatik beispielsweise ein Jahr statt Biologie und ein weiteres halbes Jahr statt Chemie eingesetzt werden. Die Stundenzahlen verändern sich für Schüler nicht, die Stundentafeln müssen jedoch an diesen halbjahres Tausch angepasst werden. Den zweiten Weg gehen Bayern und Sachsen seit Jahren und sind Vorreiter im deutschen Bildungssystem.
Mir ist bewusst, dass die individuellen Erfahrungen und die Qualität von Informatikunterricht in der Schule stark von der Lehrkraft abhängen, wenn es denn welchen gibt. Das liegt primär daran, dass Schleswig-Holstein einfach sehr wenige Lehrer ausbildet und die meisten daher entweder daran interessiert waren und es in der Freizeit selbst lernten oder eine Weiterbildung in dem Bereich wahrgenommen haben. Diese Lehrkräfte besitzen kaum mehr Wissen als Schüler. Zusätzlich sind die Fachanforderungen extrem schlecht ausgearbeitet und können zu unterschiedlich interpretiert werden. Dennoch müssen wir endlich den Stellenwert von Informatik für unsere Allgemeinbildung anerkennen und die Situation an den Schulen verbessern, um allen die Chance zu bieten als Gewinner aus der vierten industriellen Revolution hervorzugehen. Guter Informatikunterricht vermittelt nicht Spezialwissen, sondern systematische Grundlagen. Chemie beschreibt die Welt der Stoffe; Biologie die Welt des Lebens; Informatik die Welt der Information, ihre Berechnung, Verteilung und Speicherung. Unsere Freunde aus Bayern führten Informatik bereits 2010 verpflichtend an Schulen ein und sind damit um einiges erfolgreicher als wir. Einer der größten Visionäre des 21. Jahrhunderts sagte: “Innovation distinguishes between a leader and a follower”. Dieser Visionär war Steve Jobs, Mitbegründer von Apple. Ich finde, wir sollten auch in Zukunft noch an der Spitze der technologischen Entwicklung stehen.
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