Antisemitismus? Alles, aber kein Einzelfall.

19.09.2025
Persönliche Meinung

Blogbeitrag von Leon Lienau, Kreisvorsitzender der JU Pinneberg. 

„JUDEN haben hier Hausverbot!!! Nichts persönliches, auch kein Antisemitismus, kann Euch nur nicht ausstehen“. Diese Zeilen standen auf einem Schaufenster-Plakat in einem Flensburger Laden. Und nein, dieser offensichtliche Antisemitismus ist kein Einzelfall. Diese Zeilen stehen vielmehr symbolisch dafür, wie schlimm unser Antisemitismusproblem in Flensburg, Schleswig-Holstein und Deutschland ist.

Sie erinnern an eine Zeit, in denen eine rechtsradikale Partei auf dem Vormarsch in Deutschland war, sie erinnern an eine Zeit, in denen Jüdinnen und Juden in Deutschland für die Probleme der Welt verantwortlich gemacht wurden und systematisch verfolgt und vertrieben wurden. Diese Stimmung mündete ab der Machtergreifung der Nationalsozialisten 1933 im Holocaust, in dem beispiellosen Massenmord der Nazis an den in Europa lebenden Juden.
Auch 2025 können sich Jüdinnen und Juden in Deutschland nicht mehr sicher fühlen. Die Kette mit dem Davidstern, der vielleicht vor 10 Jahren noch ohne Sorge getragen werden konnte, wird heute zu Hause gelassen. Das Tragen einer Kippa in der Öffentlichkeit ohne Angst vor Anfeindungen und körperlichen Angriffen ist kaum möglich. Gab es 2023 in Schleswig-Holstein noch 120 antisemitische Vorfälle, waren es 2024 bereits fast 600. Die Zahlen für 2025 mag ich mir gar nicht vorstellen.

Als Ausgangspunkt für diesen steigenden Antisemitismus wird von vielen der terroristische Angriff der Hamas am 07. Oktober 2023 und die militärische Reaktion Israels zur Befreiung der Geiseln und Entmilitarisierung der Hamas gesehen. Richtig ist, dass ab diesem Moment die antisemitischen Übergriffe drastisch zugenommen haben. Der 07. Oktober oder die Reaktion Israels ist aber nicht der Grund für den Antisemitismus. Dieser liegt vielmehr in unserer Gesellschaft verwurzelt.

Es finden sich aktuell drei Hauptgruppen von modernen Antisemiten in Deutschland: Antisemiten, die allen Jüdinnen und Juden aufgrund des Handelns Israels eine Kollektivschuld zusprechen, Antisemiten, die ihren Hass hinter Israelkritik und der Unterstützung der Hamas verstecken, und Antisemiten, die geschichtsvergessene Vergleiche zum Holocaust ziehen.

Die erste Gruppe macht Jüdinnen und Juden auf der ganzen Welt für das Handeln des Staates Israel verantwortlich. Dies hat auch mutmaßlich der Flensburger Ladenbesitzer getan. Man sei zwar kein Antisemit, aber bei dem, was gerade in Israel passiert, sei es schon verständlich, dass Jüdinnen und Juden Hausverbot erteilt bekommen – so zumindest ein Kommentar unter einem Video zum Vorfall in Flensburg. Manuel (so heißt zumindest sein Account) meinte: „Die Penner haben gerade genug Dreck am Stecken! Finde (das Hausverbot) nicht schlimm.“ Er und ein großer Teil der Gesellschaft haben nicht verstanden, dass jüdischen Glaubens zu sein kein Statement zur Politik Israels ist. Wer Jüdinnen und Juden für das Leid der Zivilbevölkerung im Gazastreifen verantwortlich macht, begründet eine Kollektivschuld. Solche Leute zeigen, dass Jüdinnen und Juden vielfach immer noch als eine homogene Gruppe gesehen werden. Eine homogene Gruppe, der wiederum negative Attribute zugeschrieben werden – das ist moderner Antisemitismus par excellence.

Nun gibt es aber auch diejenigen, die ihren Antisemitismus hinter Kritik an Israel und der Unterstützung der Hamas verstecken. Im Schutz der öffentlichen Netzwerke werden Hashtags wie #freepalestine oder Sprüche wie „From the river to the sea: Palestine will be free“ verbreitet. Menschen, die ihr ganzes Leben die Privilegien eines demokratischen Rechtsstaates genießen, werden plötzlich zu Terrorunterstützern. Sie werden zu Unterstützern einer Terrororganisation, die sich als Ziel die Auslöschung jüdischen Lebens gesetzt hat. Was kann das anderes sein als Antisemitismus? Diese Entwicklung zeigt: „Der moderne Antisemit schlüpft in das Gewand des Antizionisten und stellt sich dumm.“ (Zitat von Georg M. Hafner und Esther Shapira: Israel ist an allem schuld. Warum der Judenstaat so gehasst wird. Eichborn, Köln 2015, ISBN 978-3-8479-0589-9.)

Die letzte Gruppe stellt geschichtsvergessene Vergleiche zwischen aktuellen Geschehnissen und der Judenverfolgung im Nationalsozialismus an. In den Kommentarspalten unter der Berichterstattung zu dem Vorfall in Flensburg finden sich – insbesondere aus dem AfD- und Schwurbler-Milieu – Vergleiche zur Corona-Pandemie. „Als Ungeimpfter durfte ich ja auch nicht in Läden.“ Schon während der Pandemie verglichen sich die Impfgegner mit den Juden im Nationalsozialismus. Solche Vergleiche zeugen nicht nur von einem widerlichen Geltungsbedürfnis, sondern insbesondere von purer Geschichtsignoranz. Wer wirklich glaubt, dass seine aktuelle Situation mit einer systematischen Vorbereitung zum Massenmord an Jüdinnen und Juden zu vergleichen ist, reaktiviert den Holocaust.

Diese drei dargestellten Gruppen zeigen, dass Antisemitismus nicht nur ein vielseitiges, sondern auch ein verbreitetes Problem in Deutschland ist. Es handelt sich nicht um einen Einzelfall. Die Politik muss nun endlich hierauf richtig reagieren: Wir brauchen noch mehr Bildung und Aufklärung in den Schulen, verpflichtende KZ-Gedenkstättenbesuche und eine besser aufgestellte Strafverfolgung, um Antisemitismus und Volksverhetzung im Netz zu bekämpfen.