KONTRA VORRATSDATENSPEICHERUNG

17.11.2015
Persönliche Meinung

Von Alexander Barbie, stellvertretender Kreisvorsitzender der JU Kiel

Ein Angriff auf unsere Freiheit im digitalen Zeitalter

Vor wenigen Tagen trat die dritte Version der Vorratsdatenspeicherung (VDS) in Kraft. Die VDS verpflichtet die Anbieter von Telekommunikationsdiensten wie Internet und Telefonie, personenbezogene Daten und Verbindungsdaten aufzuzeichnen und für eine bestimmte Zeit vorzuhalten. Die Verpflichtung umfasst auch Standortdaten von Mobiltelefonen. Die Daten werden immer ohne Anfangsverdacht erhoben und von Stellen der Strafverfolgung oder Gefahrenabwehr angefordert.

Dieses Gesetz reiht sich in eine Reihe gescheiterter Initiativen ein: 2005 wurde ein entsprechender Entwurf der CDU/CSU im Bundestag noch abgelehnt. Eine 2007 beschlossene VDS wurde durch das Bundesverfassungsgericht im Jahr 2010 als verfassungswidrig eingestuft. Der Europäische Gerichtshof erklärt 2014 eine europäische Richtlinie zur VDS ebenfalls als Verstoß gegen die EU-Menschenrechtscharta.

Ich möchte die VDS zuerst im Kontext der Grundrechte und ihrer Effektivität diskutieren und dann einen Ausweg aus der festgefahrenen Situation aufzeigen.

Viele von uns haben nichts zu verbergen, weswegen wir die Speicherung unserer Verbindungsdaten als keinen Eingriff in die Privatsphäre ansehen. Doch es gibt gute Gründe, etwas zu verbergen, auch wenn es nicht von strafrechtlicher Bedeutung ist. Beispiele dafür sind chronische Krankheiten, körperliche Defizite, finanzielle Schwierigkeiten oder zwischenmenschlichen Beziehungen. Das ist zu respektieren, auch wenn man selbst freizügiger handelt. Müssen Menschen aus der Annahme heraus, dass Kommunikation überwacht wird, ihr Verhalten ändern und bestimme Orte oder Beziehungen meiden, so stellt das einen Einschnitt in demokratische Freiheitsrechte dar. Dieses Grundrecht ist unantastbar und durch Art. 10 Abs. 1 des Grundgesetztes gesichert.

Die Aufgabe des Staates ist es, alle Bürgerinnen und Bürger zu schützen und das Gefühl von Sicherheit zu vermitteln. Ich kann voll und ganz verstehen, wieso unserer Polizei die VDS als geeignetes Mittel sieht. Die Kommunikation verlagerte sich in den letzten Jahrzehnten überwiegend in die digitale Welt. In Zeiten, in denen in den meisten Ländern die Haushalte für Polizeipersonal zusammengestrichen werden, geben digitale Kommunikationswege Kriminellen nicht nur Werkzeuge zur Organisation an die Hand, auch ganz neue Tatorte wie der Online-Betrug entstehen. Im Spannungsfeld zwischen Kosten und Aufgaben scheinen Ideen wie die VDS oder Überwachung mit Kameras an öffentlichen Orten zu gedeihen.

Die VDS ist allerdings wirkungslos, sobald Nutzer mit verschlüsselten Verbindungen oder via Proxy-Server, in einem Land ohne VDS, surfen. (An dieser Stelle kann jeder bei Google „free proxy elite“ eingeben. Das erste Suchergebnis zeigt bereits eine Liste von mehreren freien Diensten, welche helfen, die VDS mit einem Mausklick zu umgehen.)

Das Max-Planck-Institut schreibt zudem in einer Studie (zur Studie), dass Kriminalität sich bei ungezielter Überwachung an Orte verlagert, wo keine Überwachung stattfindet, aber sie wird nicht verhindert. Eine Überwachung aller Menschen ohne Anfangsverdacht ist damit kontraproduktiv. Sie schützt die Bürger nicht zusätzlich vor Kriminalität, nimmt ihnen jedoch das Gefühl der Sicherheit.

Vize-Kanzler Sigmar Gabriel gilt als Befürworter der VDS und behauptet regelmäßig, dass die VDS terroristische Anschläge hätte verhindern können, z.B. die NSU-Morde, den Anschlag auf der Insel Utøya oder den Anschlag auf Charlie Hebdo in Frankreich. Wir wissen alle, dass die VDS ursprünglich ausschließlich zur Aufklärung von schweren Straftaten genutzt werden sollte. In Frankreich und Norwegen hat die VDS nichts aufgeklärt. Die NSU wurde teilweise durch Unfähigkeit unserer Verfassungsschützer gedeckt, dort hätte auch die VDS nicht zur Klärung der Morde beigetragen.

“Die Gutachter [des Max-Planck-Instituts] entlarven viele Warnungen [wie auch die von Sigmar Gabriel] als politische Rhetorik: So gebe es keinerlei Hinweise darauf, dass auf Vorrat gespeicherte Daten in den vergangenen Jahren zur Verhinderung eines […] Terroranschlags geführt hätten.” (Süddeutsche)

Man kann zusammenfassen, dass der Gesetzgeber wenig aus den gescheiterten Richtlinien zur VDS gelernt hat. Die aktuellen Maßnahmen stellen einen geringeren Eingriff in den Datenschutz dar als vorherige Entwürfe, maskieren jedoch nur die hässlich Fratze eines Präventionsstaates, der seine Bürger weiterhin unter Generalverdacht stellen will.

Wollen wir dieser festgefahrenen Diskussion entkommen, so müssen wir umdenken, weg vom bürokratischen Präventionsstaat, hin zum bürgerorientierten Dienstleistungsstaat. Wie können wir mehr Sicherheit und Geborgenheit für Bürgerinnen und Bürger in Deutschland herstellen?

Die VDS muss man hier als spezielles Werkzeug unter vielen sehen: Natürlich kann die Polizei einzelne Menschen bei einem konkreten Verdacht beschatten lassen. Dieses Mittel sollten wir der Polizei auch im Internet ermöglichen, z.B. durch eine anlassbezogene VDS. In dem Fall werden dann aber ausschließlich Tatverdächtige durch die VDS erfasst.
Datenschutz kann man sogar als Service des Staates begreifen: Amerikanische Unternehmen verdienen Milliarden mit unseren Daten. Statt dies hinzunehmen sollten wir uns überlegen, ob und wie wir mit der Sammelwut von Unternehmen wie Google, Facebook und Co. umgehen wollen.
Geborgenheit schaffen wir, indem wir den Dialog zwischen Polizei und Bürgern vereinfachen und Bürokratie abbauen. Das Ausland macht’s vor: In Bangkok kann man mit einer App in Verbindung mit den nächsten Polizisten treten und um Hilfe bitten.
Geld sparen wir durch eine bundesweite Internetwache, die den Polizeirevieren Alltagsarbeit abnimmt und bisher veraltete, analoge Prozesse effektiv abwickelt.
Ich halte die Vorratsdatenspeicherung für ein völlig falsches Mittel zur Bekämpfung von schweren Straftaten. Der Koste/Nutzen-Faktor rechtfertigt die Einschränkung von Bürgerrechten in keiner Art und Weise. Auch das neue Gesetz wird vor dem Verfassungsgericht landen und eventuell wieder als verfassungswidrig eingestuft. Nur anlassbezogene Ermittlungsarbeit schützt vor Kriminalität. Daher sollten wir die vorhandenen Polizeikräfte besser ausbilden und effizienter einsetzen. Ganz sicher suchen wir keine Totalüberwachung aller Bundesbürger, sondern die Wahlstimmen jener, die eine Gesellschaft geprägt von Vertrauen und Menschlichkeit mitgestalten wollen!