Vive l‘Europe

19.02.2024
Persönliche Meinung

Blogbeitrag von Johannes Davi, Kreisverband Steinburg

Als ich in den Zug nach Frankreich stieg, um dort mein Auslandsjahr zu absolvieren, war meine Gefühlslage gemischt. Zum einen war ich sehr glücklich, dass ich nach dem Jurastudium mal etwas anderes sehen konnte als die mir vertrauten Annalen der Bibliothek. Zum anderen war ich nervös. Ich zweifelte an meiner Entscheidung.

Johannes, was machst du eigentlich? Du kannst die Sprache in Wort und Schrift gerade so lala, und jetzt möchtest du französisches Recht studieren? Zusätzlich kennst du niemanden dort, weder die Stadt noch irgendwelche Menschen. Und nun möchtest du dort ein Jahr verbringen und sogar einen Masterabschluss erwerben? Hast du dir nicht etwas zu viel zugemutet?

Trotz der Tatsache, dass mir die Situation, ein Jahr ins Ausland zu gehen, vertraut war, da ich nach dem Abi ein Jahr in Argentinien verbracht hatte, hatte ich dennoch großen Respekt. Im Gegensatz zu Argentinien ist Frankreich Deutschland wesentlich ähnlicher. Wenn man sich fragt, was Deutschland und Frankreich verbindet, dann sind es insbesondere die Geschichte und das Schicksal. Historisch betrachtet gab es zwischen den beiden Ländern unzählige Höhen und Tiefen.

Beide führten über Jahrhunderte mehrfach Krieg gegeneinander, was dazu führte, dass gerade die französischen Grenzgebiete wie Lothringen oder das Elsass stark deutsch geprägt sind. Häufig trifft man hier auf bilingual aufgewachsene Menschen, deren Familien sowohl deutsche als auch französische Wurzeln haben. Als Beispiel ist die preußisch-hugenottische Familie de Mazière zu nennen, die aus der Nähe der französischen Stadt Metz stammt und nach Deutschland floh. An nahezu allen Hochschulen in den Grenzgebieten werden bilinguale Studiengänge angeboten.

Wenn ich in Sarreguemines, welches sich auf der französischen Seite befindet, ein Brot bestellen möchte, dann kann ich dies problemlos auf Deutsch. Die Gründe hierfür liegen weit vor unserer Zeit. Und wenn man sich fragt, inwiefern das Schicksal Frankreich und Deutschland verbindet, dann ist die geographische Lage anzuführen. Im Herzen Europas wurde 1952, initiiert von Robert Schumann, die Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS) zwischen Frankreich, Deutschland, Belgien, Italien und Luxemburg gegründet.
Ein entscheidender Grund war der Fakt, dass sich die Länder Europas, die doch so unterschiedlich in Bezug auf Kultur, Küche, Mentalität etc. sind, denselben Kontinent teilen. Wie bereits konstatiert, tobten zwischen Deutschland und Frankreich mehrfach große Kriege. Dies sollte sich ändern. Die Volksvertreter waren der Ansicht, dass wir aufhören sollten, uns gegenseitig zu bekämpfen, sondern stattdessen gemeinsam stärker sein sollten.


"Ich möchte, dass es eine deutsch-französische Freundschaft gibt, und dass die deutschen und französischen Völker sich versöhnen, damit wir einen dritten Krieg vermeiden." – Charles de Gaulle.

Im Jahr 1952 wurde die EGKS gegründet. Diese sah vor, dass ein gemeinsamer Markt für Kohle und Stahl zwischen den Teilnehmern errichtet wurde. Damit wurde der erste Schritt zur deutsch-französischen Freundschaft getan, obwohl auch die Niederlande, Luxemburg und Belgien daran beteiligt waren. Mit dem Abschluss des Élysée-Vertrags wurde ein grundlegender Meilenstein für die Freundschaft zwischen beiden Nationen gelegt.

Dieser Vertrag sieht vor, dass regelmäßige Treffen zwischen Regierungsvertretern stattfinden, bei denen man sich über Außen-, Europa- und Verteidigungspolitik austauschen sollte. Die Bedeutung der deutsch-französischen Freundschaft zeigt sich darin, dass die erste Auslandsreise der christdemokratischen Regierungschefs von Adenauer bis Merkel immer nach Paris führte. Auch zahlreiche Städtepartnerschaften zwischen deutsch-französischen Gemeinden untermauern dies, und in den letzten Jahren fanden unzählige Schüleraustausche statt.

Ein weiterer Höhepunkt, der sich unter einem tragischen Deckmantel ereignete, war die Rede des französischen Präsidenten zur Beerdigung anlässlich der Beerdigung von Wolfgang Schäuble im Bundestag. Macron hielt die Rede teilweise auf Deutsch und betonte die Überzeugung Wolfgang Schäubles von der deutsch-französischen Freundschaft, die jener durch die Initiierung eines deutsch-französischen Parlaments intensivierte. Ein besonderes Augenmerk verdient nicht nur die Tatsache, dass zum ersten Mal ein ausländischer Regierungschef die Eingangsrede hielt, um einen ehemaligen Minister zu verabschieden, sondern auch, dass Macron hierfür extra Deutschunterricht nahm.

Allerdings stellt die Gründung der EGKS etwas viel Wertvolleres dar, nämlich die Gründung einer gemeinsamen Institution im Herzen Europas, die wir heute als Europäische Union bezeichnen. Nicht selten hört man von der Idee, die EU in einen föderalistischen Staat umzugestalten. Dementsprechend kam es zu Vergleichen mit den USA, die sich zwar im Jahr 1776 gründeten, jedoch muss man erkennen, dass dieser Vergleich hinkt. Im Gegensatz zu den USA haben die europäischen Völker eine viel ältere Geschichte und sind dadurch viel stärker verwurzelt.

Wer nach Italien, Spanien oder Griechenland reist, wird nicht nur eine andere Architektur und Flora und Fauna erkennen, sondern auch eine andere Geschichte mit anderen Bräuchen, Gesängen, Gerichten sowie einer anderen Mentalität kennenlernen. Wer sich in den Norden oder Osten Europas begibt, wird Ähnliches erleben.

Einerseits kann die Diversität innerhalb der EU ermüdend sein, wenn es darum geht, politische Entscheidungen für ein 448 Millionen Menschen großes Territorium zu treffen. Andererseits ist gerade die Vielfalt der EU das, was uns ausmacht und uns von den USA unterscheidet. Nun könnte man sich die Frage stellen, was das Ganze mit meinem Auslandsjahr zu tun hat. Der Respekt vor dem Fremden kann einen trüben, jedoch überwiegt die Freude, sich auf ein neues Abenteuer, auf neue Ufer zu begeben und die Freude, von unseren europäischen Geschwistern zu lernen.

Daher kann ich nur jedem ans Herz legen: Lernt Europa und vor allem die EU kennen, sei es im Rahmen eines Auslandssemesters, einer Sprachreise oder eines Urlaubs. Genießt den Geschmack einer echten neapolitanischen Pizza, lasst euch begeistern von der Schönheit Andalusiens, rast die Skipisten der Alpen hinunter, schaut euch im Norden Schwedens die Polarlichter an und erstaunt vor den Gemälden im Louvre. Denn genau dieses Privileg, Europa und die EU erleben zu dürfen, sollte man unbedingt wahrnehmen, da es nicht nur das Verständnis füreinander stärkt, sondern auch die Verbundenheit innerhalb Europas und der EU fördert.

Angesichts der Europawahl 2024 sind wir einmal mehr gefragt, ein Zeichen zu setzen, wie die europäische Zukunft aussehen soll. Insbesondere vor dem Hintergrund des Erstarkens rechtspopulistischer und -extremistischer Parteien sowie der prekären Lage im Nahen Osten, der Ukraine und im Indopazifik brauchen wir ein starkes Europa! Wir müssen uns vor Augen führen, dass das Erbe, welches uns federführend von Schumann, de Gaulle und Adenauer in die Hand gegeben wurde, bewahrt, beschützt und verteidigt werden muss.
Es liegt in unserer Hand, nicht nur Steinburger, Flensburger, Rendsburger, etc., Schleswig-Holsteiner oder Deutscher zu sein, sondern auch Europäer!

„Vive l’Europe!“ – Emmanuel Macron