
Am 24. Juni 2016 hat sich das britische Volk überraschend knapp gegen einen Verbleib des Vereinigten Königreichs in der Europäischen Union entschieden. Die Briten werden ihre 27 Partner verlassen und aus der größten Wirtschaftszone der Welt austreten. Doch was ist in den Brexitverhandlungen für Deutschland eigentlich zu erwarten? Und was müssen wir fordern? Am 29. März 2017 hat die Regierung May vor dem Europäischen Rat ihre Austrittsabsicht kundgetan und damit das Austrittsverfahren nach Art. 50 des EU-Vertrags ausgelöst. Jener Artikel besagt, dass nach Ablauf von zwei Jahren die EU-Verträge automatisch ihre Anwendbarkeit auf den ausgetretenen Staat verlieren. Ein Fall, der die Briten ohne absichernde Verträge in ein großes Chaos ohne geregelte Beziehungen fallen ließe. Was sich für alle Beteiligten so vermeidenswert anhört, könnte sich allerdings schwieriger gestalten als man meinen mag, da ein „Exit vom Brexit“ für viele Verfechter des Austritts im britischen Parlament einem Gesichtsverlust gleichkäme. Auch eine Verlängerung der Verhandlungsfrist gemäß Art. 50 auf Beschluss des Europäischen Rates ist nicht sehr wahrscheinlich. So müssen die Kommission und die Regierung May bis zum 30. März 2019 eine Menge Kompromisse finden. Deutschland exportierte im letzten Jahr Waren im Wert von 86,1 Milliarden Euro in das Vereinigte Königreich. Die Zahlen unterstreichen also das Interesse der Bundesrepublik, einen freien und unbürokratischen Handel auch in Zukunft zu ermöglichen. Da die „Tories“ stark geschwächt aus der letzten Wahl hervorgingen, ist die Wahrscheinlichkeit für einen Verbleib im Europäischen Wirtschaftsraum nach dem Modell Norwegens gestiegen, auch wenn May diesen aufgrund der weiterbestehenden Verpflichtungen, besonders der Freizügigkeit, eigentlich ablehnt. Der Handel zwischen EU und dem Vereinigten Königreich würde weitestgehend unverändert weiterlaufen, allerdings würden viele Subventionen sowie das Mitbestimmungsrecht über die Entwicklung des Binnenmarktes wegfallen. Dieses Modell stellt das mit dem geringsten Aufwand dar, da die Briten beispielsweise kein eigenes Zollsystem aufstellen und nicht dutzende bilateraler Verträge schließen müssten. Somit sollte sich Deutschland, besonders auch mit Blick auf die Reise- oder zumindest Visafreiheit für ein solches Modell einsetzen, das die EU-Bürger den Briten rechtlich gleichstellt und Klarheit für den Arbeitsmarkt schafft. Politisch ebenfalls ein großes Problem wird die sogenannte „Great Repeal Bill“ werden, ein Gesetzentwurf, der der Übernahme von europäischen Gesetzen, etwa 12000 an der Zahl, durch Ministerialerlasse in britisches Recht dient. Ohne die Rechtstaatlichkeit eines solchen Vorgehens hinterfragen zu wollen, wird dies nicht immer mühelos funktionieren, da viele Regulierungsmechanismen sich beispielsweise auf europäische Organisationen beziehen, sodass hier umformuliert und bzw. oder neue Institutionen geschaffen werden müssen. All dies dürfte die britischen Behörden unter einen enormen Zeitdruck und die EU in eine starke Position setzen. Zuletzt ist zu fragen, wie die weitergehende Beteiligung an beispielsweise den milliardenschweren europäischen Pensionen sowie den Forschungsprogrammen wie der ESA oder EURATOM aussehen wird. Das Vereinigte Königreich zahlte einen bedeutenden Anteil an der bisherigen Forschung, und würde beispielsweise auch von den neuen Galileosatelliten, einem Konkurrenzsystem zum amerikanischen GPS, massiv profitieren. Auch da eine solche Forschung für Einzelstaaten in Europa nicht zu realisieren ist. In militärischen Fragen ist eine Beteiligung am geplanten europäischen Rüstungsprogramm keineswegs gesichert. An der bisherigen Fürsprecherrolle im UN-Sicherheitsrat wird sich meiner Meinung nach aber eben so wenig etwas ändern wie an gemeinsamen Auslands- und Antiterroreinsetzen, da sich an der geographischen Verbundenheit zu Kontinentaleuropa mit unseren gemeinsamen Problemen nichts ändern wird. Aber die irische Grenze braucht eine harmonische Lösung zur Vermeidung eines Neubeginns des Terrors. Bevor wir die Briten vom Verhandlungstisch gehen lassen, müssen finanzielle und rechtliche Verbindlichkeiten für die Zukunft allerdings abschließend geklärt sein, um Planungssicherheit der EU und Frieden der Iren zu ermöglichen. Außerdem müssen wir die aus dem Vereinigten Königreich abzuziehenden Behörden an deutschen Standorten ansiedeln, um hier die Arbeit der EU zu veranschaulichen. Abschließend ist festzuhalten, dass Deutschland mit dem Vereinigten Königreich auf europäischer Ebene einen liberalen und zahlungskräftigen Partner in zukünftigen Verhandlungen, besonders mit südöstlichen Mitgliedsstaaten, verliert. Ein Verlust, der nicht zu ersetzen ist. Nichtsdestotrotz sollte sich Deutschland aus wirtschaftlichen wie weltpolitischen Gründen in den kommenden Verhandlungen mit aller Macht, die es in Europa besitzt, dafür einsetzen, eine gerechte Lösung zu finden, die das Vereinigte Königreich wirtschaftlich wie politisch auch weiterhin eng an Europa bindet, um die oben genannten Interessen zu wahren . Denn nur in der Gemeinschaft können wir unsere europäischen Werte neu entdecken und in die Welt hinaus tragen.
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