ENERGIEVERSCHWENDUNG

06.05.2016
Persönliche Meinung

von Leif E. Bodin (Kreisvorsitzender der JU NF und stv. Leiter der Kommission Wirtschaft & Energie)

3013. Das ist die Anzahl aller genehmigungspflichtigen Windkraftanlagen in Schleswig-Holstein, die entweder schon arbeiten oder kurz vor der Inbetriebnahme stehen. 3546 sollen es in näherer Zukunft sein. Zusammen liefern sie bereits über 5000 MW. Zum Vergleich: Biblis A liefert 1158 MW.


Schleswig-Holstein ist Land der Windenergie. Was auch sonst? Große Industriestützpunkte und Bodenschätze haben wir nicht, dafür aber Wind und Fläche. Und seien wir mal ehrlich: Wollen wir das Land auf lange Sicht voranbringen, so kommen wir da nicht drum herum.
Nachdem 2011 in der Energiepolitik ein doppelter Rittberger mit Todesschraube durchgeführt wurde, explodierten alle Zahlen der erneuerbaren Energien: insgesamt ein Sprung des Anteils der Erneuerbaren am Bruttostromverbrauch der Bundesrepublik von ca. 20 (2011) auf 32 (2015) Prozent. Mit der nunmehr sechsten Novelle des Erneuerbaren-Energien-Gesetzes (EEG) versucht man die Fehler planwirtschaftlicher Kontrollzwänge verzweifelt rückgängig zu machen und einen nicht mehr funktionierenden Markt wiederzubeleben.

Der Verbraucher entwickelt anscheinend langsam ein Gefühl für Nachhaltigkeit. Das merkt man vor allem, wenn man in die Werbung schaut. Gerade mit sogenanntem „grünen Strom“ möchte man den Konsum um das gute Gewissen ergänzen. Jedes Unternehmen will heute „sustainable“ und „responsible“ sein – zumindest ein bisschen.

Ein Gefühl für das, was hinter der Steckdose steht, liegt und arbeitet, muss der Verbraucher sich aber noch hart erkämpfen. Zum Beispiel muss der Strom auch irgendwie ins Häusle kommen. Im Protest gegen den Bau von neuen Stromtrassen wird jedoch eine Energie freigesetzt, die alleine schon ein AKW ersetzen könnte. Plebiszitäre Begehren erleben einen neuen Boom, aber dazu später mehr.

Betrachtet man die Politik der Windenergie genauer, so ist aus einem anfänglichen Laissez-faire die Fahrt mit angezogener Handbremse geworden. Auslöser der großen Diskussionen um Windkraftanlagen ist die EEG-Novelle von 2011. Zwar gab es Streit natürlich schon seit es erste Anlagen gibt, aber die Konflikte erlangten erst damit neue Dimensionen.

Wollen wir Windkraftanlagen auf unseren Flächen? Wollen wir einen Bürgerwindpark? Wer darf investieren? Wo stehen die Anlagen schlussendlich und was ist mit den Ausgleichsflächen? An diesen Fragen sind schon unzählige Gemeindevertretungen zerbrochen. Der Streit um Windkraftanlagen bleibt schließlich nicht sachlich. Befürworter und Gegner bekämpfen einander bis aufs Blut (Das ist ernst gemeint!) und die Zwietracht hält jahrelang an. Selbst, wenn keine Anlagen errichtet werden.

Bei aller Wirtschaftsnähe, die auch ich vertrete, muss man das Modell „angezogene Handbremse“ befürworten. Das Netz kommt beim Errichten der Windkraftanlagen nicht hinterher und so kommt es auch gern mal vor, dass die Anlage schon betriebsbereit steht und sogar Geld einbringt, aber nicht angeschlossen ist. Bei stürmischem Wetter an der Küste werden regelmäßig Anlagen abgeschaltet, um das Netz nicht zu überlasten – Was für eine Energieverschwendung!
Ein weiteres Fass, das wir diesbezüglich aufmachen müssen, ist das der Frage nach der Akzeptanz in der Bevölkerung. Diese erreicht langsam einen kritischen Punkt, an dem die Stimmung komplett zu kippen droht. Ist es soweit – und da müssen wir ehrlich sein – können wir mit allem einpacken, die Energiewende wird dann nicht mehr in Schleswig-Holstein umgesetzt. Es ist absolut verständlich, dass irgendwann das Maß der subjektiven Belastbarkeit unmittelbar Betroffener voll ist. Schließlich kann eine von allen Seiten mit Windparks eingeschränkte Sicht vom eigenen Haus auf Dauer den Spaß am ländlichen Raum verderben.

In der Konsequenz aller selbstgestellten Ansprüche muss man den produzierten Strom auch weiterleiten können. Unsere über 3000 Windkraftanlagen in Schleswig-Holstein stehen ausschließlich im ländlichen Raum, die großen Verbraucher aber sitzen in den Städten oder liegen außerhalb des Bundeslandes. Die Zielmarke der 300 Prozent Bruttostromverbrauch Schleswig-Holsteins (also wir exportieren das Doppelte dessen, was wir verbrauchen) sind nur realisierbar, wenn die Stromnetze umfangreich ausgebaut werden – Stichwort: intelligente Netze. Die 380 kV Trassen entlang der Westküste, der Ostküste und Audorf sowie die Nordsee-Leitung nach Norwegen werden dafür nicht reichen. Investitionen in Mittel- und Niederspannungsleitungen sind ebenso unabdingbar. Umspannwerke müssen erneuert und erweitert, alte Kabel ausgetauscht werden. Alleine bei uns im Kreis Nordfriesland betrifft dies fast 6500 Kilometer an Stromleitungen. Die SH-Netzagentur steckt in Nordfriesland über 22 Mio. Euro in solche Maßnahmen. Es lässt sich anhand dessen nur erahnen, wie hoch die Kosten für notwendige Investitionen im gesamten Land sind.

Hinzu kommt bei all dem auch noch der Zeitfaktor. Will man die Ziele bis 2025 beziehungsweise 2035 erfüllen, sind wir schon heute so gut wie zu spät dran. Jeder Bauabschnitt einer Trasse unterliegt den Pflichten des deutschen Baugesetzes und das ist bei Bauvorhaben vor allem eins: Ein extrem kompliziertes Hindernis! Wer bauplanungsrechtliche Anhörungen in der Kommunalpolitik einmal mitgemacht hat, der weiß, wie viele Wochen oder Monate dem zum Opfer fallen können. Wird ein Streit vor ein Verwaltungsgericht getragen (übrigens ein neuer Volkssport!), kann das noch deutlich länger dauern. Damit sind wir auch wieder bei den plebiszitären Begehren. Es scheint, als lähme die Angst vor Entscheidungen die Verantwortlichen in der Politik. Statt selbst das letzte Wort zu sprechen, wurden nach und nach die Kompetenzen dafür in die Judikatur verlagert. Ergebnis: Keiner möchte die Stromleitungen sehen, gar in der Nähe haben, schließt sich mit Gleichgesinnten zusammen und fährt Attacken gegen die Bauplanungen. Das lähmt Bauvorhaben gewaltig.

Und um an dieser Stelle auch mit einem Mythos aufzuräumen: Erdkabel sind nicht des Rätsels Lösung! Die einfache Devise „aus den Augen – aus dem Sinn“ funktioniert nicht einmal im Ansatz, denn mit dem einfachen Vergraben der Stromleitungen hat ein Erdkabel bei Hochspannungstrassen wenig zu tun. Die Sicherheit solcher großen Leitungen muss ja langfristig sichergestellt sein. Anders als das einfache Kabel, das man im Garten aus ästhetischen Gründen im Erdreich versenken kann, erzeugt beispielsweise eine 380 kV viel Wärme. Ohne entsprechende Kühlung würde sich die Erde temporär um über 20 Grad erhöhen – Da braucht man kein Biologe zu sein, um zu wissen, dass so etwas Flora und Fauna stark verändert. Konkrete Baumaßnahmen für 380 kV Erdkabel: Komplett begehbare Betontunnel mit Eingängen alle 50 oder 80 Meter. Das kann doch eigentlich auch nicht im Sinn der Gegner von Überlandleitungen sein… Die Kosten für Erdkabel liegen übrigens beim (locker) über Sechsfachem der Überlandleitungen. Wer die Investitionssummen aus Nordfriesland noch im Kopf hat, merkt sofort, dass eine Energiewende damit unbezahlbar und damit unmöglich ist. Zusammenfassend lässt sich dazu nur sagen: Wir Deutschen wollen das Richtige, sind uns mit unserem Perfektionismus aber mal wieder selbst im Weg.

Lassen wir all das einmal Revue passieren: Windkraft ja, aber mit Maß und Verstand. Das Stromnetz muss viel konsequenter und schneller ausgebaut und erneuert werden. Insgesamt drohen wir den Anschluss zu verpassen, obwohl wir uns doch so hohe Ziele gesetzt haben. Noch liegt Schleswig-Holstein im Bundesvergleich mit vorne, aber wir stagnieren und die anderen holen auf. Obwohl die Grünen in der Landesregierung das doch eigentlich als ihr Kernthema begreifen, versagen sie. Beim Bürokratismus laufen sie dafür zu Höchstleistungen auf. Die Energiepolitik muss konsequenter sein, da wir uns ansonsten wieder im Klein-Klein verlieren und – das ist eines der größten Probleme – das deutsche Baurecht ist entwicklungsfeindlich und müsste eigentlich reformiert werden (eine Mammutaufgabe!). An allen Ecken und Enden wird geklagt und protestiert (Generell könnte man die Formel „Protest bis zum Exzess“ aufmachen…).

Zusammengefasst: Wer die „richtige“ Energie etablieren will, muss in der Umsetzung auch den Zeitfaktor im Auge behalten.